Bei allen Abbildungen handelt es sich um Stills aus dem Film: Stefan Römer, ReCoder of Life, 2019; Darstellerinnen von Reco sind: Isabella Pedersen u. Jennifer Katanyoutanant.
Arbeitsnotizen zu einem experimentellen Filmprojekt²
Die Protagonistin des Films, Reco, arbeitet mindestens 15 Stunden am Tag. Sie optimiert sich für eine Social-Media-Firma. Arbeiten kann man es ja eigentlich nicht mehr nennen.
Reco stellt kaum einen Unterschied fest zwischen ihren beruflichen und ihren privaten Aktivitäten: Alles tut sie online.
Reco empfindet Lust bei der Arbeit, doch sie fühlt sich zunehmend ausgebeutet. Sie fragt sich: Wer beutet mich aus, denn ich tue es doch freiwillig?
Reco lebt in einer von vernetzten Computern definierten Welt. Sie verbringt nicht nur Arbeit und Freizeit am Screen, ihr ganzes Leben wird zunehmend durch Programmstrukturen sowie die Möglichkeiten und Limitierungen von Apps beeinflusst oder gar gestaltet – man kann also sagen, ihr Leben und Denken wird von Programmstrukturen mit/bestimmt. Hinzu kommt die Möglichkeit, dass all diese Aktivitäten von Dritten aufgezeichnet und kontrolliert werden können.
Reco berührt ihren Screen anstatt Haut. Ihre Partner sind virtuell – Haut wird zum Screen. Und umgekehrt wird der Screen zu einer Haut, die sie täglich öfter berührt / touched als einen anderen Menschen. Auch ihr soziales Leben pflegt sie im Screen. Die Unterhaltungselektronik hält uns in einem weichen digitalen Netz aus Excitement und Bequemlichkeit mit »virtuellen Freunden« und »Sexrobotern«. Haben wir verlernt, sozial zu sein?
Reco sagt zu sich selbst: Die Maschinen gehen einem in Fleisch und Blut über. Ist das mit »imaginären« Maschinen gemeint? Reco arrangiert sich mit dieser post-panoptischen Intimität.
Reco fragt jeden Tag von Neuem: Wieso bewirkt dieser Code so überzeugend, dass so viele Menschen freiwillig ihr Selbst im Netz ausstellen? Was ist so faszinierend daran? Alle tun es, alle beobachten und kommentieren sich gegenseitig dabei in der digitalen Pleasure Zone, um sich zu optimieren.
Doch für Reco ist die Frage zentral, ob es eine autonome Haltung gegenüber diesem Code geben kann: Sie soll jenseits eines Boykotts angesiedelt sein. Kann es denn ein Außerhalb der postpanoptischen Kontrolle in der Vernetzung geben? Wie lässt sich die kulturelle Dominanz des vernetzten Computers kritisieren? Stellen Cut-up und Hacking noch medienaktivistische Mittel dar? Was umfasst gegenwärtig eigentlich dieses System, wie stellt es sich selbst dar? Kann ich mich überhaupt als In/Dividuum getrennt davon wahrnehmen? – Diese Fragen wird sie im dritten Teil des Films mit Genesis (Breyer) P-Orridge diskutieren.
Reco schreibt den Code um.
1 Überarbeitete Version des Essays mit gleichem Titel in: Birte Kleine-Benne (Hg.), Dispositiv-Erkundungen, Berlin 2020. Meine Recherche wurde maßgeblich durch ein Research Fellowship am Centre for Digital Cultures, Leuphana Universität Lüneburg, 1.11.2017–31.1.2018 gefördert; die Filmaufnahmen wurden ermöglicht durch Acts of Life. Critical Research Residency Singapore and Manila, Goethe-Institut, MCAD Manila u. NTU CCA Singapur 2018. Für beide Stipendien bedanke ich mich ausdrücklich.
2 Screenings: Internationales Kurzfilmfestival Oberhausen, open screening 2019; Dispositiv-Erkundungen, jetzt. Konferenz, Org.: Prof. Dr. Birte Kleine-Benne, Inst. für Kunstgeschichte, LMU München, 29.6.2019; AICA-Kongress, Berlinische Galerie, 5.10.2019.
Bei allen Abbildungen handelt es sich um Stills aus dem Film: Stefan Römer, ReCoder of Life, 2019; Darstellerinnen von Reco sind: Isabella Pedersen u. Jennifer Katanyoutanant.
Arbeitsnotizen zu einem experimentellen Filmprojekt²
Die Protagonistin des Films, Reco, arbeitet mindestens 15 Stunden am Tag. Sie optimiert sich für eine Social-Media-Firma. Arbeiten kann man es ja eigentlich nicht mehr nennen.
Reco stellt kaum einen Unterschied fest zwischen ihren beruflichen und ihren privaten Aktivitäten: Alles tut sie online.
Reco empfindet Lust bei der Arbeit, doch sie fühlt sich zunehmend ausgebeutet. Sie fragt sich: Wer beutet mich aus, denn ich tue es doch freiwillig?
Reco lebt in einer von vernetzten Computern definierten Welt. Sie verbringt nicht nur Arbeit und Freizeit am Screen, ihr ganzes Leben wird zunehmend durch Programmstrukturen sowie die Möglichkeiten und Limitierungen von Apps beeinflusst oder gar gestaltet – man kann also sagen, ihr Leben und Denken wird von Programmstrukturen mit/bestimmt. Hinzu kommt die Möglichkeit, dass all diese Aktivitäten von Dritten aufgezeichnet und kontrolliert werden können.
Reco berührt ihren Screen anstatt Haut. Ihre Partner sind virtuell – Haut wird zum Screen. Und umgekehrt wird der Screen zu einer Haut, die sie täglich öfter berührt / touched als einen anderen Menschen. Auch ihr soziales Leben pflegt sie im Screen. Die Unterhaltungselektronik hält uns in einem weichen digitalen Netz aus Excitement und Bequemlichkeit mit »virtuellen Freunden« und »Sexrobotern«. Haben wir verlernt, sozial zu sein?
Reco sagt zu sich selbst: Die Maschinen gehen einem in Fleisch und Blut über. Ist das mit »imaginären« Maschinen gemeint? Reco arrangiert sich mit dieser post-panoptischen Intimität.
Reco fragt jeden Tag von Neuem: Wieso bewirkt dieser Code so überzeugend, dass so viele Menschen freiwillig ihr Selbst im Netz ausstellen? Was ist so faszinierend daran? Alle tun es, alle beobachten und kommentieren sich gegenseitig dabei in der digitalen Pleasure Zone, um sich zu optimieren.
Doch für Reco ist die Frage zentral, ob es eine autonome Haltung gegenüber diesem Code geben kann: Sie soll jenseits eines Boykotts angesiedelt sein. Kann es denn ein Außerhalb der postpanoptischen Kontrolle in der Vernetzung geben? Wie lässt sich die kulturelle Dominanz des vernetzten Computers kritisieren? Stellen Cut-up und Hacking noch medienaktivistische Mittel dar? Was umfasst gegenwärtig eigentlich dieses System, wie stellt es sich selbst dar? Kann ich mich überhaupt als In/Dividuum getrennt davon wahrnehmen? – Diese Fragen wird sie im dritten Teil des Films mit Genesis (Breyer) P-Orridge diskutieren.
Reco schreibt den Code um.
1 Überarbeitete Version des Essays mit gleichem Titel in: Birte Kleine-Benne (Hg.), Dispositiv-Erkundungen, Berlin 2020. Meine Recherche wurde maßgeblich durch ein Research Fellowship am Centre for Digital Cultures, Leuphana Universität Lüneburg, 1.11.2017–31.1.2018 gefördert; die Filmaufnahmen wurden ermöglicht durch Acts of Life. Critical Research Residency Singapore and Manila, Goethe-Institut, MCAD Manila u. NTU CCA Singapur 2018. Für beide Stipendien bedanke ich mich ausdrücklich.
2 Screenings: Internationales Kurzfilmfestival Oberhausen, open screening 2019; Dispositiv-Erkundungen, jetzt. Konferenz, Org.: Prof. Dr. Birte Kleine-Benne, Inst. für Kunstgeschichte, LMU München, 29.6.2019; AICA-Kongress, Berlinische Galerie, 5.10.2019.